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Artikel

Autobahnneubau ist ökologisch problematisch

Portrait of Swantje

Swantje Michaelsen

5 min Lesezeit

10. April 2025

Autobahnneubau: Ein gesamtgesellschaftlicher, volkswirtschaftlicher und klimapolitischer Irrweg!

Gastbeitrag von Swantje Michaelsen und Julia Verlinden

Die Klimakrise macht sich immer mehr bemerkbar, auch bei uns: Dürre im März, Überschwemmungen, Hitzewarnungen. Insbesondere im Verkehrsbereich geht der Klimaschutz nicht voran – im Gegenteil wird die Lücke immer größer. Daran etwas zu ändern, nimmt sich die nächste Koalition jedenfalls nicht vor. Frisch mit Geld aus dem Sondervermögen ausgestattet, wollen Union und SPD vielmehr zurück in die Vergangenheit und weiter Autobahnen neu bauen. Das passt nicht zusammen.

Während in Deutschland Union und SPD auf verkehrspolitische Antworten des letzten Jahrhunderts setzen, ändert sich etwas in unseren Nachbarländern: in Frankreich wurde kürzlich ein Autobahnneubauprojekt gerichtlich gestoppt – zu groß der ökologische Schaden, zu klein der wirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen. Auch in Österreich wurden geplante Straßenneubauprojekte vom Umweltministerium wirtschaftlich und ökologisch neu bewertet und eine ganze Reihe an Projekten daraufhin gestoppt. Union und SPD wollen dagegen am (fast 10 Jahre alten) Bundesverkehrswegeplan (BVWP) ebenso festhalten wie am bisher genutzten Verfahren zur Bedarfsplanüberprüfung.

Auch auf Länderebene wird weitergemacht, als gäbe es kein Morgen. Bestes Beispiel dafür ist das Ausbauprojekt der so genannten Küstenautobahn A20. In der vergangenen Woche hatten Niedersachsen und Schleswig-Holstein Wirtschaftsvertreter*innen und Interessierte zum Gespräch über den Neubau eingeladen. Die A20 soll die Küstenstädte in Niedersachsen und Schleswig-Holstein miteinander verbinden - so jedenfalls lautet die Erzählung der A-20-Fans auch in den beiden CDU- und SPD geführten Landesregierungen. Die norddeutsche Wirtschaft spricht daher auch von einer „Lebensader“ für die Küstenstädte. Dass die Trasse dieses Versprechen gar nicht einlöst, sondern weit an den Städten vorbeiführt, ist eine der kleineren Absurditäten.

Es gibt schon lange Kritik am Projekt. Die A20 wurde bereits unter der Regierung Merkel mit Verkehrsminister Scheuer (!) als ökologisch problematischste Autobahn im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) bewertet. Denn die geplante Trasse durchkreuzt mehr als 50 Kilometer ökologisch wertvolle Moorlandschaften, Naturschutzgebiete sowie Landwirtschaftsflächen.

Bild Julia Verlinden, MdB
© Nils Leon Brauer

Autobahnneubau ist nicht wirtschaftlich

Kürzlich hat das Bundesumweltministerium ein Gutachten zu Umwelt- und Naturschutzaspekten der Bundesverkehrswegeplanung veröffentlicht. Dort wurden u.a. Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit ausgewählter Autobahnprojekte mit neuen Daten aktualisiert. Die genutzten Daten nehmen Bezug auf die aktuellen deutlichen Baukostensteigerungen, einen im Vergleich zur Aufstellung des derzeitigen BVWP realistischeren Wert für CO2-Schadenskosten und aktuelle Verkehrsprognosen. Bei etwa 17% der Projekte im vordringlichen Bedarf fallen mit den aktuellen Zahlen die Kosten-Nutzen-Verhältnisse (NKV) auf unter 1. Zu diesen Projekten gehört auch der Neubau der A20. Das Projekt wäre damit selbst in der dringend zu überarbeitenden Systematik des Bundesverkehrswegeplans gesamtwirtschaftlich nicht mehr vorteilhaft. Die Kosten übersteigen den vermeintlichen gesellschaftlichen Nutzen demnach.

Wir sehen daran: die alten Berechnungen stimmen nicht mehr und sie gehen von völlig unrealistisch niedrigen Kosten aus. Das Bundesverkehrsministerium muss nun unverzüglich zu diesen neuen Berechnungen Stellung nehmen und seine aktualisierte Kosten-Nutzen-Berechnung zu allen Autobahn-Projekten vorlegen deren Bau absehbar beginnen soll. Diese Berechnungen sind auf Beschluss des Haushaltsausschusses seit Ende letzten Jahres überfällig.

Das jetzt zur Verfügung gestellte Sondervermögen für Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität 2045 wird perspektivisch nicht ausreichen, um alle Projekte aus dem BVWP umzusetzen. Zudem fehlen Planungs- und Baukapazitäten. Eine Regierung, die nicht priorisiert, belügt sich selbst und die Bevölkerung. Sie wird es aber so vor allem nicht schaffen, die bereits bestehende Infrastruktur vor dem Verfall zu retten. Tausende Brücken sind marode und warten dringend auf Sanierung, nachdem viel zu lange am Erhalt unserer Infrastruktur gespart wurde. In Dresden, Berlin und im Rahmedetal führen über Jahre gesperrte Verkehrsachsen zu deutlichen Problemen. Nicht nur bedeuten die Umleitungen eine massive Belastung für die lokale Bevölkerung - u.a. Lärm und Luftverschmutzung - und die Wirtschaft, die Umwege in Kauf nehmen muss. Sondern es entstehen dramatische Folgekosten, weil die Umleitungsstraßen für eine solche Verkehrsbelastung nie gebaut wurden und folgend wieder entsprechende Sanierungsmaßnahmen nötig werden.

Daraus sollte eine neue Bundesregierung einen Handlungsauftrag ableiten - wenn nicht aus Interesse an einer modernen, klimaverträglichen Verkehrspolitik, dann mindestens aus der Verpflichtung für einen verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen Ressourcen: alle Kraft, alle Ressourcen müssen in den nächsten Jahren in Sanierung und Erhalt sowie den Ausbau der Schiene fließen.

Bild Swantje Michaelsen, MdB
© Markus Heft

Klimapolitischer Irrweg

Noch abwegiger wird der Autobahnneubau mit Blick auf die Klimakrise. Der Verkehrsbereich ist weit davon entfernt die gesetzlich festgelegten Ziele zu erreichen. Das Klimaschutzgesetz verpflichtet die neue Bundesregierung, ein Jahr nach der Bundestagswahl ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, das die Klimaziele 2040 berücksichtigt. Bis 2030 mag es möglich sein, die verfehlten Ziele im Verkehrssektor mit größeren CO2-Einsparungen z.B. im Energiesektor oder in der Industrie auszugleichen - bis 2040 funktioniert das sicher nicht. Entsprechend groß müssen die Anstrengungen sein, entsprechend schnell müssen Maßnahmen im Verkehrssektor aufgesetzt werden. Dabei muss die Gestaltung unserer Infrastruktur unbedingt in den Blick genommen werden. Denn sie hat Auswirkungen auf die Entwicklung des Verkehrs, führt bei Bau und Erhalt zu Emissionen und versiegelt, bzw. durchschneidet wichtige Ökosysteme.

Ein Neubau, wie der der A20, der auf weiten Teilen durch Moorlandschaften führen soll, ist vor diesem Hintergrund doppelt absurd. Für den natürlichen Klimaschutz sind Moore von höchster Bedeutung – denn trockengelegte Moorböden verursachen Treibhausgasemissionen. Die noch geschäftsführende Umweltministerin Steffi Lemke hat dafür in der vergangenen Legislatur die Nationale Moorschutzstrategie in der Bundesregierung beschließen lassen. Ziel: die Wiedervernässung der Moore, um die Emissionen zu senken. Eine neue Autobahntrasse durch wertvolle Moorgebiete hätte fatale Auswirkungen, ungeachtet auch des hohen ökologischen Wertes dieser einzigartigen und vielfältigen Lebensräume.

In Frankreich hat ein Gericht jetzt entschieden, dass eine mögliche, relativ kleine Zeitersparnis bei Autofahrten nicht ausreicht, um die mit einem Autobahnneubau verbundene Umwelt- und Naturzerstörung zu rechtfertigen. Eine Bundesregierung muss sich entscheiden, ob sie darauf warten will, dass auch in Deutschland Gerichte über die Verkehrspolitik entscheiden oder ob sie selbst auf eine Verkehrswende setzt, die die Klimaziele einhält.

Dafür muss sie, statt mit mehr Straßen für immer mehr Autoverkehr zu sorgen, Maßnahmen treffen, um Verkehr mit hohem Tempo von der Straße auf die Schiene zu verlagern und den Rest zu dekarbonisieren. Genau dafür sollte deshalb das Sondervermögen genutzt werden: für Sanierung und Erhalt der Straßeninfrastruktur, für Erhalt, Aus- und auch Neubau der Schiene und für den Hochlauf der E-Mobilität.

Der Gastbeitrag wurde am 03.04.2025 im Tagesspiegel Background veröffentlicht.