Mit der Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrsordnung (StVO) leiten wir einen Paradigmenwechsel im Straßenverkehrsrecht ein. Es ist für Kommunen nun deutlich leichter, den Rad- Bus- und Fußverkehr zu fördern und Straßen und Quartiere verkehrlich zu beruhigen.
Zum Auftakt erörterte Swantje Michaelsen die neuen Möglichkeiten des Straßenverkehrsrechts für den Rad- und Busverkehr gemeinsam mit Stefan Gelbhaar MdB, Sprecher AG Mobilität der Grünen Bundestagsfraktion, und Roland Huhn, Referent Recht vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Die Veranstaltung stieß mit über 170 Teilnehmer*innen auf eine enorme Resonanz.
Roland Huhn zeigte in seinem Vortrag, dass die neue StVO auf Basis der StVG-Novelle erhebliche Verbesserungen für den Rad- und Busverkehr bringt. Hier kann der Vortrag heruntergeladen werden. Anschließend wurden die Fragen der Teilnehmenden beantwortet. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion zusammen.
Sind mit der neuen StVO auch geschützte Radwege möglich?
Ja. Geschützte Radwege sind Flächen für den Radverkehr und können damit auf Basis der neuen Ziele (Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung) jetzt erleichtert angeordnet werden. Es muss dann nicht mehr nachgewiesen werden, dass Radwege zwingend erforderlich sind (einfache Gefahrenlage) bzw. dass eine besondere Gefahrenlage besteht, was in der Regel den Nachweis von Unfällen erfordert. Wenn man einen Radfahrstreifen anlegt und mit einem der neuen Ziele begründet, kann man diesen auch sichern/schützen (mit Pollern oder anderen Elementen). Hier bringt die neue StVO deutliche Erleichterungen.
Poller: Es gibt Erlasse in Bundesländern Poller und Hindernisse zu entfernen, um dem Radverkehr Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wie verträgt sich das mit den neuen Möglichkeiten der StVO?
Das Entfernen von Pollern auf Radwegen ist sehr sinnvoll. Mitten auf Radwegen haben Poller nichts zu suchen, hier ist es besser Autos mit anderen Mitteln fernzuhalten, wie z.B. mit der stellenweisen Verengung der Fahrbahn, damit Autos nicht durchkommen. Dagegen können Poller in Fahrradstraßen den Radverkehr fördern, weil sie den Kfz-Durchgangsverkehr aus diesen Straßen heraushalten und so komfortables und sicheres Radfahren erst ermöglichen. Hier ist eine ausreichende Markierung (mindestens 10 Meter vorher) von Pollern wichtig, damit Fahrradfahrende diese rechtzeitig erkennen. Wenn Poller auf Fahrradstraßen mittig platziert werden, können Radfahrende rechts und links an diesen vorbei fahren.
Mindestmaße von Radfahrstreifen – müssen diese nun nicht mehr eingehalten werden? Sind Radfahrstreifen von 60cm möglich?
Das Gegenteil ist der Fall. Die StVO sieht vor, dass angemesseneFlächen für den Radverkehr bereitgestellt werden müssen. Ein Radfahrstreifen von 60 cm ist völlig unbrauchbar. Schon nach der bestehenden Verwaltungsvorschrift müssen Radwege so breit sein, dass Radfahrende einander überholen können, denn Radfahrende sind unterschiedlich schnell. Regelmaße dürfen nach der neuen StVO nicht unterschritten werden, Mindestmaße erst recht nicht.
Fahrradstraßen außerorts: Was sind hier die neuen Vorgaben?
Fahrradstraßen außerorts sind zulässig und grundsätzlich gelten die gleichen Regeln wie innerorts (und damit die Erleichterungen der neuen StVO für Fahrradstraßen). An Straßen außerorts wohnen anders als innerorts in der Regel kaum Menschen. Ohne Wohnhäuser besteht auf Fahrradstraßen außerorts auch kein Grund Anliegerverkehr zuzulassen, d.h. Radfahren dort ist stressfrei. Was eher nicht möglich ist: Fahrradstraßen auf Bundesstraßen anzuordnen. Denn diese haben eine Verbindungsfunktion zwischen Kommunen.
Bussonderstreifen: Sind neue Bussonderfahrstreifen auch Teil einer geordneten städtebaulichen Entwicklung, d.h. können neue Busspuren auf Basis dieses Ziels angeordnet werden?
Ja, das ist selbstverständlich der Fall. Bisher waren Kommunen oft zu komplizierten Umwegen gezwungen, wenn sie den Busverkehr fördern wollten (z.B. Freigabe von Radfahrstreifen für Busse, weil die bisher erforderliche Zahl von 20 Bussen pro Stunde nicht erreicht werden konnte). Auch hier bringt die neue StVO deutliche Erleichterungen.
Lückenschluss zwischen zwei Tempo-30 Abschnitten
Der Lückenschluss zwischen zwei Tempo-30-Abschnitten ist nun bis zu 500 Metern möglich (bisher: 300 Meter). Wichtig dabei: Nicht die sensiblen Einrichtungen müssen 500 Meter voneinander entfernt sein, sondern die zu verbindenden Tempo-30-Strecken. Tempo-30-Strecken vor Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Pflegeheimen können bis zu 300 Meter lang sein. Dabei muss die entsprechende Einrichtung auch nicht in der Mitte des Tempo-30-Abschnittes liegen. Insgesamt können mit der neuen Regelung also Abschnitte vor Einrichtungen miteinander verbunden werden, die gut 800 Meter voneinander entfernt sind.
Die Straßenverkehrsbehörden müssen den Lückenschluss zwischen den Abschnitten nicht vornehmen. Aber der Lückenschluss hat einen neuen Rang erhalten, weil er nun auch in der übergeordneten Straßenverkehrsordnung (StVO) enthalten ist, und nicht mehr nur in der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO).
Bei sensiblen Einrichtungen sind die Behörden laut VwV-StVO dazu angehalten, Tempo 30 vor diesen Einrichtungen anzuordnen.
Bekommt das Straßenverkehrsrecht jetzt auch Gewicht auf Bundesstraßen?
Maßnahmen auf Bundesstraßen sind nicht von vorneherein ausgeschlossen. Zum Beispiel Tempo 30 vor sensiblen Einrichtungen: Hier ist schon bisher ausdrücklich in der StVO benannt, dass Tempo 30 auch auf Bundesstraßen angeordnet werden können.
Die Verbindungsfunktion von Bundesstraßen darf aber nicht beeinträchtigt werden. Eine regelmäßige Sperrung einer Bundesstraße (z.B. für eine Schulstraße) ist eher nicht möglich, weil es die grundlegende Funktion einer Bundesstraße als Verbindung stören würde.
Tempo 30 an hochfrequentierten Schulwegen: Müssen die Schulen an den entsprechenden Hauptverkehrsstraßen liegen, damit Tempo 30 angeordnet werden kann?
In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass es für eine Anordnung von Tempo 30 an Schulwegen nicht auf eine unmittelbare Nähe zur Schule ankommt. Dort wo im unmittelbaren Umfeld einer Schule Schulwege zusammengeführt werden, werden sie hochfrequentiert sein. Aber es ist auch denkbar, dass ein hochfrequentierter Schulweg sich weiter entfernt von einer Schule befindet.
Für die Anordnungen werden Zählungen voraussichtlich nicht erforderlich sein. Es ist deutlich einfacher, die Anordnungen auf Basis von Schulwegplänen/Schulradwegplänen vorzunehmen.
Schulstraßen: Können diese nun erleichtert angeordnet werden, mit dem Verweis auf angemessene Flächen für den Fuß- und Radverkehr?
Wahrscheinlich wird das nicht gehen. Das Ziel von Schulstraßen ist es, den Straßenraum in bestimmten Zeitfenstern für den Schülerverkehr offen zu halten. Hier steht der Aspekt der Sicherheit der Schüler*innen so sehr im Vordergrund, dass man die Förderung des Fuß- und Radverkehrs auf Basis der neuen Ziele voraussichtlich nicht anführen kann. Bei den Schulstraßen wird es darum gehen, eine Rechtsgrundlage für Schulstraßen in einer der nächsten StVO-Novellen zu schaffen (Die StVO wird alle ein bis zwei Jahre reformiert).
Wie können alteingesessene Mitarbeitende in den Gemeinden und Straßenverkehrsbehörden überzeugt werden, die neuen Möglichkeiten auch anzuwenden?
Zum einen geht es darum, hier politisch auf die Verwaltung einzuwirken und die neuen Möglichkeiten aufzuzeigen. Dabei kann künftig auch die neue Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) helfen, die den Verwaltungen in den Gemeinden mehr Details zur Umsetzung an die Hand geben wird.
Außerdem können Kommunen gegenüber den Straßenverkehrsbehörden von dem neuen Antragsrecht Gebrauch machen. Denn in der Regel entscheiden die Straßenverkehrsbehörden über Anordnungen von verkehrlichen Maßnahmen, nicht die Kommunen selbst. Ein Ziel der Straßenverkehrsrechtsreform war es, die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen zu stärken, das neue Antragsrecht ist auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. Kommunen haben die jetzt Möglichkeit, Anträge für Maßnahmen, die sie nicht selbst treffen können (zum Beispiel Tempo 30, Fahrradweg), bei der Straßenverkehrsrechtsbehörde zu stellen. Mit diesem Antragsrecht einher geht ein Anspruch auf eine begründete Entscheidung (sogenannte ermessensfehlerfreie Entscheidung). Im besten Fall stimmt die Straßenverkehrsbehörde dem Antrag zu und die Maßnahme kann umgesetzt werden. Wenn die Straßenverkehrsbehörde den Antrag ablehnt, aber die Gründe dafür nicht ausreichen, können die Kommunen klagen und die Ablehnung gerichtlich überprüfen lassen.
Entfällt für Anordnungen auf Basis der neuen Ziele die besondere Gefahrenlage? Also muss künftig immer noch die einfache Gefahrenlage nachgewiesen werden?
Nein. Mit der neuen StVO muss für Anordnungen zur Förderung des Fuß- Rad- und Busverkehrs auf Basis der neuen Ziele keine Gefahrenlage mehr nachgewiesen werden. Das heißt, dass der Nachweis der einfachen Gefahrenlage entfällt, wenn mit einer Maßnahme die neuen Ziele verfolgt werden.
Bei Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen muss bei Anordnungen an sensiblen Einrichtungen/hochfrequentierten Schulwegen eine einfache Gefahrenlage nachgewiesen werden. Die (höheren) Anforderungen der besonderen Gefahrenlage müssen dagegen auch bei Tempo-30-Abschnitten nicht erfüllt werden.