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Artikel

Hej Dänemark – auf Delegationsreise

Portrait of Swantje

Swantje Michaelsen

8 min Lesezeit

7. Juli 2022

Meine erste Ausschussreise ging nach Dänemark: Gemeinsam mit Kolleg*innen der anderen Fraktionen habe ich mich 4 Tage lang mit verschiedenen Menschen und Institutionen über Verkehr und Mobilität, Logistik und Spedition, Bauvorhaben und Planungsbeschleunigung ausgetauscht.

Da Dänemark bereits in der Sommerpause war, konnten wir leider weder im Ministerium für Transport noch im Parlament empfangen werden. Aber wir besuchten die deutsche Botschaft – diese befindet sich in einem tollen Gebäude direkt am Wasser.

Deutsche Botschaft in Kopenhagen

Hier haben wir Interessantes über das politische System in Dänemark erfahren: Es gibt in der Regel Minderheitenregierungen, die von einer oder mehreren Parteien gestützt werden. Wahlen finden spätestens nach 4 Jahren statt, können aber von der Staatsministerin jederzeit binnen 6 Wochen angesetzt werden. Zu wichtigen Themen gibt es oft lagerübergreifende Abkommen, die dann 10 Jahre gelten. So wird z.B. bei der Energiepolitik eine langfristige Planung unabhängig von Regierungswechseln sichergestellt. Die dänische Energiepolitik setzt übrigens ganz massiv auf Offshore-Anlagen in der Nordsee. Bis 2030 sollen die Kapazitäten vervierfacht, bis 2050 verzehnfacht werden. Neben Windrädern entstehen dafür Energieinseln, auf denen der Strom in Wasserstoff oder E-Fuels umgewandelt werden soll, damit er leichter transportiert oder gelagert werden kann.

Mega-Projekt Fehmarnbelttunnel: Widerspruch zu Klimazielen

Ein zentrales Thema war der Fehrmarnbelttunnel, der gerade gebaut wird: Dieser Tunnel geht auf einen Staatsvertrag zwischen unseren Ländern aus dem Jahr 2008 zurück. Mit dieser festen Verbindung über den Fehrmarnbelt, sollte die Verbindung zwischen den Ländern gestärkt werden.

Modell des Tunnels
Modell des Belttunnels

Der Fehrmarnbelttunnel gilt als Schienenprojekt und deshalb als Beitrag für einen nachhaltigeren Verkehr. Im Zuge des Tunnelbaus, soll auf beiden Seiten auch die Hinterlandanbindung verbessert werden. Dadurch wird man zukünftig mit dem Zug von Hamburg nach Kopenhagen in 2:30 Stunden statt in 5 Stunden fahren können. ABER: Dass gleichzeitig eine vierspurige Autoverbindung entsteht, die ja neue Verkehre zum Beispiel durch Fehrmarn induzieren wird, wurde kaum benannt.

Wir haben in den Tagen mit verschiedenen Menschen und Gruppen gesprochen, die mit dem Bau des Tunnels zu tun haben:

  • mit der Vorhabenträgerin, der Firma Fermern A/S, eine Tochter des dänischen Staatsunternehmens Sund&Belt. Sund&Belt baut große Infrastruktur-Projekte. Bei Sund&Belt und bei Fermern A/S gilt der Tunnel als Beitrag zum Klimaschutz. Man baue ja im Einklang mit der Natur, vergrößere durch die Ausgleichsmaßnahmen (u.a. Landgewinnungsprojekte an der dänischen und der deutschen Küste) die Artenvielfalt und stärke die Schiene. Dass dafür eine riesige Betonröhre in den Meerboden eingegraben und die Rifflandschaft vernichtet wird, dass außerdem riesige Flächen an Land über Jahre einer überdimensionierten Baustelle weichen und zudem Massen an CO2 allein durch die riesigen Mengen Beton entstehen, wurde nicht erwähnt. Solche Projekte entstehen in vollem Bewusstsein der Klimakrise und mit gutem Gewissen.
  • Mit Scandlines, der Firma, die aktuell im Halbstundentakt mit Fähren über den Belt fährt. Auch hier spielt Klimaneutralität eine wichtige Rolle. Wir sind mit einer Hybridfähre gefahren. Hier sorgt eine stattliche Anzahl Batterien dafür, dass nur ein Dieselmotor in Betrieb sein muss. Aktuell wird eine rein batterieelektrisch betriebene Frachtfähre gebaut, die ab 2024 fahren soll. Scandlines gehörte zu den erbitterten Gegnern des Tunnelbaus, denn natürlich wird ein Tunnel, mit dessem Hilfe man den Belt in 10 Minuten mit dem Auto bzw in 7 Minuten mit dem Zug queren kann, statt 45 Minuten Fähre zu fahren (+ Eincheckzeit) massive Auswirkungen auf das Geschäft der Fährgesellschaft haben. Doch auf die Fragen, wie es für Scandlines ab 2030 weitergeht, bekamen wir optimistische Antworten. Für viele LKW-Fahrer ist die Fährzeit eine gute Gelegenheit zu duschen, etwas zu essen, sich zu entspannen, daher werden viele weiter die Fähre statt des Tunnels nutzen. Ebenso Urlaubsreisende, die dann mit Eis auf der Fähre in die freie Zeit starten.
Mir scheint das ist eine sehr optimistische Annahme, die ja dann auch entweder bedeuten würde, dass niemand durch den Tunnel fährt, oder dass sich der Verkehr auf der Strecke deutlich erhöhen müsste. Wie passt das dann zu unseren Klimazielen?
  • mit der Allianz gegen die feste Fehrmarnbeltquerung. Seit mehr als 20 Jahren setzen sich viele Menschen gegen den Bau eines Tunnels ein, 5 von ihnen konnten wir zum Gespräch treffen. Sie machen sich zu recht vor allem Sorgen um Klimaschutz und Ökologie. Beim Aushub des riesigen Grabens werden Sedimente freigesetzt, deren Nanopartikel sich auf die umliegenden Riffe legen, ihnen das Licht nehmen und sie damit absterben lassen. Die Baustellen für den Tunnel und die Hinterlandanbindung werden über viele Jahre die anwohnenden Menschen beeinträchtigen und viele Flächen versiegeln. Zudem fürchten sie große Verkehrsmengen, die zukünftig über Fehrmarn rollen. Sie haben lange dafür gekämpft, dass kein Tunnel gebaut wird, sogar gegen die Planung geklagt - und leider nicht recht bekommen, weil unsere Gesetzgebung Klimafragen eben nicht angemessen berücksichtigt. Sie kämpfen jetzt dafür, dass zumindest die Umweltmaßnahmen, die laut Planfeststellungsverfahren vorgesehen sind, eingehalten werden. Sie kritisieren, dass Fermern A/S sich da nur selbst kontrolliert und fordern, dass es bei den Baumaßnahmen zur deutschen Hinterlandanbindung unabhängige Kontrollen gibt. Ich werde da mal nachfragen!
Belttunnel: Bausstelle Juni 2022

Unterwegs mit der Bahn – auch in Dänemark ein wichtiges Thema

Besonders interessant war unser Termin mit einem Vorstand der dänischen Staatsbahn (DSB): Bis 2030 werden ein neues Signalsystem errichtet sowie die komplette Flotte ausgetauscht. Dänemark wird dann das modernste Eisenbahnsystem Europas haben. Bei der DSB wird der Fehrmarnbelttunnel sehnsüchtig erwartet. Hier steht natürlich im Vordergrund, dass dann aus 45 Minuten Fährzeit (plus Wartezeit) 7 Minuten Tunneldurchquerung werden und das Dänemark, Schweden und Deutschland deutlich komfortabler miteinander verbindet. Deshalb ist der dänischen Staatsbahn sehr wichtig, dass die deutsche Hinterlandanbindung rechtzeitig fertig wird – denn sonst nützt der für Schienenverkehr geplante Tunnel tatsächlich nur dem Autoverkehr.

In Dänemark gibt es mit der „rejsekort“ ein Ticket, das im ganzen Land im Nah- und Fernverkehr gilt. Hier wird im Nachhinein der beste Preis abgerechnet bzw. auf Tages- oder Monatskarte umgestellt. Damit reisen schon jetzt 3 Millionen Dän*innen. Ab Ende des Jahres wird die „rejsekort“ auch auf dem Mobiltelefon verfügbar sein. Deutlich wurde hierbei: in Dänemark gibt es weniger Skepsis hinsichtlich Digitalisierung und Datenschutz.

Städtebauliche Entwicklung in Kopenhagen: zwischen Nachhaltigkeit und Wachstum

Interessant war unsere Hafenrundfahrt mit der Firma By&Havn. Das Unternehmen gehört der Stadt Kopenhagen zu 95% und dem Staat Dänemark zu 5%. Neben dem Hafen ist By&Havn auch für die städtebauliche Entwicklung von 7 Innenstadtquartieren verantwortlich. Eins davon wird Lynetteholm: Mitten in der Ostsee entsteht diese neue Insel, auf der mal 35.000 Menchen leben sollen. Das Ziel von By&Havn ist eine nachhaltige Stadt, in der es einfach ist, nachhaltig zu leben.

Aber kann der Bau einer neuen Insel, die in die Ostsee geschüttet wird, wirklich nachhaltig sein?

Aber ganz generell schafft Kopenhagen herrliche öffentliche Räume. Seit der Industriehafen vor etwa 20 Jahren vor die Stadt verlegt wurde, ist die Wasserqualität im inneren Hafen so gestiegen, dass es dort inzwischen mehrere öffentliche Hafenschwimmbäder und Badestellen gibt. Die gesamte Hafenpromenade wurde so gestaltet, dass Menschen sie nutzen können - bei dem warmen und sonnigen Wetter ließ sich gut beobachten, wie gern das angenommen wird. (auch wenn wir leider immer mit dem Auto unterwegs waren und dadurch die Stadt gar nicht so gut erleben konnten)

Aktuell setzt Kopenhagen darauf, versiegelte Flächen möglichst mehrfach zu nutzen. Zum Beispiel haben wir ein Parkhaus gesehen, auf dessen Dach ein kleiner öffentlicher Park angelegt wurde. Das ist nicht nur eine schöne Aufenthaltsfläche, sondern durch das Grün können auch 80% des Regenwassers direkt auf dem Dach aufgenommen werden.

Radverkehrstraum in Kopenhagen und Odense

Last but not least haben wir uns in Kopenhagen dem Thema Radverkehr gewidmet. Mit Green City ging es auf eine Fahrradtour, bei der neben dem Radverkehr auch andere Nachhaltigkeits-Themen besprochen wurden. Dabei haben wir gesehen, wie Kopenhagen geschützte Infrastruktur baut und mit der Brücke Cykelslangen Maßstäbe in Sachen Fahrradarchitektur gesetzt hat.

Cykelslangen
Cykelslangen

Einen digitalen Termin hatten wir mit einem Verkehrsplaner von der Stadtverwaltung in Odense. Er hat uns gezeigt, dass auch die Stadt Odense seit einigen Jahrzehnten auf Radverkehr und sichere Infrastruktur setzt. Das Motto dabei: Kvalitet, Kvantitet, Kontinuitet. Dabei haben sie vor allem Kinder und Jugendliche im Blick und zum Beispiel Schulwege sicher gemacht.

Mit Erfolg: In Odense kommen 81% der Kinder mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule – in Deutschland sind es nur 17%.

In diesen Tag stand Kopenhagen insgesamt noch mehr unter dem Fahrradstern als sonst, denn dort startete dieses Jahr die Tour de France. Und so hatten wir die Gelegenheit, am letzten Morgen am Bicycle Summit teilzunehmen und in die dänische Fahrradszene reinzuschnuppern. Der Bicycle Summit soll die Tour de France mit Verkehrspolitik verbinden und positiven Rad-Spirit ins Land tragen. Denn auch in Dänemark muss noch viel getan werden, damit mehr Menschen aufs Rad steigen.

Alles in allem: eine ambivalente Reise

Ich hatte das Gefühl, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt in Dänemark. In allen Gesprächen ging es auch um Umweltschutz und die Nachhaltigkeitsziele des jeweiligen Unternehmens etc. Gleichzeitig haben wir einige Mega-Projekte gesehen, bei denen ich mich wirklich frage, ob die überhaupt nachhaltig sein können. Sowohl der Fehmarnbelttunnel als auch der Bau von Lynetteholm sind große Eingriffe in die Natur, ins jeweilige Ökosystem und haben einen riesigen CO2-Ausstoß – ob man hinterher so nachhaltig reisen oder leben kann, dass das wieder aufgewogen wird?

Aber Kopenhagen ist eine tolle Stadt. Das liegt – klar – am Radverkehr, aber auch daran, dass es insgesamt so toll gestaltete öffentliche Räume gibt. Man kann sehen, dass bei der Entwicklung der innerstädtischen Quartiere die Menschen im Mittelpunkt stehen. Und das war auf jeden Fall wieder ein wunderbare Inspiration für die Veränderung, die wir zum Beispiel in Hannover, aber auf in vielen anderen deutschen Städten vor uns haben.