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Artikel

Übersicht zum Thema Schulstraßen

Portrait of Swantje

Swantje Michaelsen

4 min Lesezeit

16. Juli 2024

Sichere kindliche Mobilität und rechtliche Möglichkeiten

Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren werden am häufigsten auf ihren Schulwegen getötet oder verletzt. Das zeigen die Unfallzahlen mit Blick auf die Uhrzeiten: die meisten Kinder und Jugendlichen werden an Wochentagen zwischen 7 und 8 Uhr am Morgen sowie am Nachmittag zu den Schulschließzeiten verletzt oder getötet.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 25.800 Kinder im Straßenverkehr verletzt und 51 getötet. Das darf so nicht weitergehen!


Sichere Mobilität und kindliche Gesundheit

Dass Menschen ab dem Kindesalter aktiv mobil sind, ist für die physische und psychische Entwicklung und Gesundheit von großer Bedeutung. Es ist nachgewiesen, dass Schüler*innen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind bessere schulische Ergebnisse erzielen. Körperliche Bewegung macht auch den Kopf fit, außerdem stärkt die aktive Teilnahme am Verkehr ebenso wie die soziale Interaktion mit Gleichaltrigen das Selbstvertrauen.

Oft entstehen auch im direkten Umfeld der Schulen gefährliche und für Kinder unübersichtliche Situationen durch den Bring- und Holverkehr mit dem Auto. Hier kann die Anordnung von Schulstraßen dabei helfen, den Schulweg auf den letzten Metern sicher zu machen.

Denn eine Schulstraßen unterbindet den Durchgangs-, Anfahrts- und Halteverkehr in den Straßenabschnitten rund um die Schultore. Dafür wird der Bereich für den KFZ-Verkehr gesperrt - entweder temporär, also zeitlich eingeschränkt, während der Bring- und Holzeiten oder dauerhaft, um eine sichere An- und Abfahrt per Fahrrad und zu Fuß für die Schüler*innen zu ermöglichen. So entsteht zudem vor den Schultoren ein „neuer“ Raum, in dem sich Schüler*innen bei ihrer Ankunft versammeln, begrüßen und dann gemeinsam in das Schulgebäude gehen können, ohne durch wendende oder vorbeifahrende Autos gefährdet zu werden.

Erst kürzlich hat das Verkehrsministerium von NRW einen Erlass zu Schulstraßen veröffentlicht. Die Kommunen und zuständigen Straßenverkehrsbehörden werden hiermit ausdrücklich dazu aufgefordert, im Sinne der Verkehrssicherheit Schulstraßen über eine straßenrechtliche Umwidmung einzurichten. Hoffentlich machen viele Kommunen von diese Aufforderung Gebrauch und hoffentlich folgen andere Länder diesem Beispiel!

Damit Kinder eigenständig und sicher unterwegs sein können, braucht es mindestens im gesamten Schulwegenetz Fuß- und Radwege, auf denen Eltern ihre Kinder alleine gehen und fahren lassen wollen. Durchgehend geschützte Radwege, sichere und gut einsehbare Kreuzungsbereiche und Querungshilfen sowie geringe Geschwindigkeiten für den Autoverkehr sind dafür unabdingbar - und doch allzu oft noch die Ausnahme.

Mit der am 5.7. beschlossenen StVO-Novelle bekommen die Kommunen die Möglichkeit, gerade auf Schulwegen die Verkehrssicherheit zu verbessern: eine neue Ausnahme erlaubt auf „hochfrequentierten Schulwegen“ die Anordnung von Tempo 30. Außerdem dürfen Radspuren und Zebrastreifen ohne den Nachweis eine qualifizierten Gefahrenlage angeordnet werden.


Rechtliche Möglichkeiten zur rechtssicheren Anordnung von Schulstraßen

In einem aktuellen Rechtsgutachten das von der Kidical Mass, dem VCD und dem Deutschen Kinderhilfswerk in Auftrag gegeben wurde, hat Rechtsanwalt Dr. Olaf Dilling aufgezeigt welche verschiedenen Möglichkeiten für eine rechtssichere Anordnung einer Schulstraße bestehen. Dabei hat er herausgearbeitet, dass sich im Besonderen das Straßenrecht eignet Teilabschnitte einer Straße temporär (tageszeitlich beschränkt) oder dauerhaft für die Nutzung durch den KFZ-Verkehr zu entwidmen.

Die Vorteile des Straßenrechts, im Vergleich zur StVO sind, dass:

  • keine (qualifizierte) Gefahrenlage aufwändig nachgewiesen werden muss, sondern die Umwidmung auf Basis von „Gründen des öffentlichen Wohls“ wie u.a. Verkehrssicherheit, Schulwegsicherheit, Aufenthaltsqualität, Lärmschutz und Luftqualität angeordnet werden kann.
  • materiell müssen in einer Gesamtabwägung die Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber möglichen entgegengesetzten öffentlichen/privaten Gründen (bspw. Kfz-Zufahrten müssen in Widmung genommen werden, Gewerbe, Kfz-Verkehr im Umfeld) abgewogen werden.
  • nur Anrainer befugt sind, mit einer Klage gegen die Anordnung innerhalb von einem Monat nach der Bekanntmachung vorzugehen. Anordnungen über die StVO haben im Vergleich dazu quasi nie Bestandskraft, da jede*r zur Klage befugt ist.

Der formelle Weg zu einer straßenrechtlichen Teileinziehung sind folgende vier Schritte:

  1. Straßenverkehrsbehörde anhören
  2. Absicht im Amtsblatt bekanntmachen
  3. Mit Einwendungen auseinandersetzen
  4. Amtsblatt-Veröffentlichung: Anordnung der sofortigen Vollziehung nach Art. 2 GG, Art. 20a GG

Zu einer über das Straßenrecht mit einer Teileinziehung angeordneten dauerhaften Schulstraße in der Singerstraße in Berlin-Mitte hatte das Verwaltungsgericht Berlin zu Beginn des Jahres dem Bezirksamt gegenüber einem Eilantrag von Anrainern Recht gegeben (vgl. VG Berlin, 10.1.24, V6 1L 408.23).

Weiterführende Informationen:

Artikel von Almut Neumann: Welche Spielräume bietet das Straßenrecht, Tagesspiegel Background, 24.01.2024

Artikel von Olaf Dilling: Aufbruch Schulwegsicherheit,
Das Blog re|Rechtsanwälte, 10.07.2027