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Weil es geht: Straßen endlich sicher machen.

Portrait of Swantje

Swantje Michaelsen

4 min Lesezeit

16. Juli 2024

https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/strassen-endlich-sicher-machen-93170974.html

Die Verkehrsminister der vergangenen Jahrzehnte haben die Verkehrssicherheit vernachlässigt. Dafür zahlen wir als Gesellschaft einen unfassbar hohen Preis: Jedes Jahr sterben auf deutschen Straßen rund 2.800 Menschen. Jedes Jahr verunglücken 55.000 Menschen schwer. Jede und jeder Tote, jede und jeder Schwerverletzte ist eine Tragödie für die Angehörigen, das Umfeld und auch für die Ersthelfer und Rettungsdienste. Zu diesem immensen menschlichen Leid kommt der abstrakte volkswirtschaftliche Schaden: Für 2022 hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Unfallkosten auf 35 Milliarden Euro beziffert.

Nach jahrelanger politischer Arbeit werden diesen Juli nun endlich zwei Meilensteine für die Verkehrssicherheit erreicht. Mit der Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und der nachgelagerten Straßenverkehrsordnung (StVO) können Kommunen endlich leichter Radwege, Zebrastreifen und Tempo 30 anordnen. Der reibungslose Verkehrsfluss des Autos ist nicht mehr automatisch das oberste Ziel der Verkehrsplanung, neue Ziele wie Klimaschutz und Gesundheit machen Straßen sicherer und bringen mehr Lebensqualität.

Die zweite Änderung ist nicht minder hart erkämpft: Ab dem 7. Juli werden Abbiegeassistenten EU-weit bei Neufahrzeugen über 3,5 Tonnen verpflichtend.

Lkw-Abbiegeassistenten erkennen, wenn sich eine Radfahrerin oder ein Fußgänger im toten Winkel eines Fahrzeugs befindet und warnen vor dem Abbiegevorgang. Damit verhindern sie Unfälle, die oft tödlich oder mit schweren Verletzungen enden. Unfälle, bei denen das Opfer häufig eine Frau, ein Senior oder ein Kind ist. Sie schützen aber auch die Menschen hinter dem Lenkrad: Laut dem Spitzenverband des Straßengüterverkehrs BGL müssen 80 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer, die an tödlichen Unfällen mit Radfahrenden beteiligt sind, ihren Beruf anschließend aufgeben und haben lange mit schweren psychischen Folgen des Unfalls zu kämpfen.

Die Technik für Lkw-Abbiegeassistenten ist schon lange verfügbar, sie ist nicht teuer und verhindert Rechtsabbiegeunfälle sehr effektiv. Deshalb begann vor Jahren unser Einsatz für den verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenten bei Lkw. Mit Anfragen, Anträgen, einem Gesetzentwurf, Rechtsgutachten, einer Expertenanhörung im Verkehrsausschuss und viel Öffentlichkeitsarbeit übten wir vergangene Wahlperiode als Oppositionsfraktion Druck auf den damaligen Verkehrsminister aus. Wir wollten diese furchtbaren Unfälle, die die Schwächsten im Verkehr treffen, nicht länger hinnehmen. Jetzt, sieben Jahre später, wird „der Assi“ endlich EU-weit Standard. Er wird in Zukunft viele Todesfälle und schwere Verletzungen verhindern. Das zeigt: Unser Einsatz hat sich gelohnt. Es geht nicht immer von heute auf morgen. Aber irgendwann ist übermorgen.

In diesem Kampf für Verkehrssicherheit ist die Zivilgesellschaft ein wichtiger Partner. Bis einschließlich 2020 zählte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) pro Jahr zwischen 30 und 40 Radfahrende, die durch abbiegende LKW getötet wurden. Nur auf Druck aus der Zivilgesellschaft, den Kommunen, den Ländern und von uns Bündnisgrünen im Bund wurde in der StVO-Novelle 2020 mehr Sicherheit für Radfahrende geschaffen. Eine wichtige Änderung war die Vorschrift, dass Lkw beim Abbiegen in Schrittgeschwindigkeit fahren müssen. Durch die Schrittgeschwindigkeit bleibt mehr Zeit zu reagieren. Langsamere Radfahrerinnen und Radfahrer fahren bei der Geschwindigkeitsdifferenz aus dem toten Winkel heraus und kommen ins Blickfeld. In der Folge sind die Unfallzahlen mit rechtabbiegenden Lkw seit 2021 deutlich gesunken: Pro Jahr werden heute zwischen 15 und 20 Radfahrende bei einem Unfall mit Lkw getötet.

Das ist ein Fortschritt, aber der Einbau von Abbiegeassistenten bleibt notwendig für die Vision Zero – dem Ziel, dass es keine Verkehrstote mehr in Deutschland gibt. Das Verkehrsministerium rechnet damit, dass erst 2032 ein Großteil (85 Prozent) der Lkw-Flotte mit Abbiegeassistenten ausgerüstet sind. Lösungen für die Bestandsflotte sind also dringend notwendig. Ein besonderes Problem sind Fahrzeuge, die lange genutzt werden und viel in Städten unterwegs sind z. B. Baustellenfahrzeuge, Müllfahrzeuge oder Lkw zur Belieferung von Supermärkten. Hier müssen wir ran. Die öffentliche Hand – von der Kommune bis zum Bund – muss ihre eigenen Flotten nachrüsten und bei Ausschreibungen Abbiegeassistenten zur Vergabevoraussetzung machen. Ein nächster Schritt sind Verkehrssicherheitszonen, also Bereiche in Städten, in die nur Lkw mit Abbiegeassistenten einfahren dürfen. Hieran werden wir weiter arbeiten, für morgen und übermorgen