Rede von Swantje Michaelsen am 8. Februar 2023 zum Nationalen Radverkehrsplan (NRVP):
"Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleg*innen,
am Anfang des NRVP steht eine Vision:
Das Fahrrad soll Alltagsverkehrsmittel für alle werden. Mit einer Infrastruktur, die alle Menschen zum Radfahren einlädt.
Es stimmt, der Weg ist noch weit. Das Potenzial des Fahrrads wird überall noch heillos unterschätzt.
Dabei – und auch das steht im NRVP – hilft die Förderung des Fahrrads uns bei der Lösung sehr vieler Probleme.
Es ist günstig – für die Kommunen und die Gesellschaft und für jede einzelne Person.
Es ist gesund. Wer Rad fährt, beugt Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und produziert weder Feinstaub noch Stickoxide.
Rad fahren schont Klima und Umwelt – kein CO2, kaum Mikroplastik, weniger Flächenversiegelung.
Und nicht zuletzt: Rad fahren macht Spaß und den Kopf frei.
Rad fahren geht übrigens auch im ländlichen Raum, wo die Hälfte der Wege kürzer ist als fünf Kilometer (in den Städten sind es 60%, also gar nicht so viel mehr).
Die Fahrradwirtschaft hat zudem für vieles eine Lösung:
Lastenräder für den Kindertransport,
Dreiräder für Menschen mit Einschränkungen,
Pedelecs für weite Strecken, Berge oder Gegenwind.
Es gibt bereits 81 Millionen Fahrräder in Deutschland. Und fast alle Menschen können Rad fahren – jedenfalls können viel mehr Menschen Rad fahren als Auto.
Wir denken immer, das Auto sei barrierefrei – das ist es aber gar nicht. Im Gegenteil: Auto fahren ist in Deutschland eigentlich verboten. Und nur, wer eine Sondererlaubnis erwirbt, die wir Führerschein nennen, darf in Deutschland Auto fahren.
Es haben aber fast 27 Millionen Menschen in Deutschland gar keinen Führerschein. 14 Millionen Kinder und 13 Millionen Erwachsene, insgesamt ein Drittel der Bevölkerung, sind vom Auto als selbstständige Mobilitätsform ausgeschlossen.
Die meisten von ihnen können allerdings Rad fahren – wenn die Infrastruktur stimmt.
Und da kommen wir zum Kern:
wenn wir Deutschland zum Fahrradland machen wollen, müssen wir sichere Radwegenetze und gute Abstellanlagen bauen.
Hierfür müssen alle Ebenen – Bund, Länder, Kommunen – zusammen arbeiten, mit dem Bund im Lead.
Und auch wenn da in den letzten Jahren einiges passiert ist: es bleibt noch sehr viel zu tun.
Erst 44% der Bundesstraßen verfügen über einen Radweg. An Landesstraßen sieht es oft noch schlechter aus. Und in vielen Kommunen steht das Thema noch gar nicht auf der Agenda.
Es ist gut und richtig, dass der Bund seit einigen Jahren mit dem Sonderprogramm Stadt&Land die Kommunen bei dem Ausbau ihrer Radwege unterstützt.
Und es ist auch gut, dass wir dieses Programm bis 2028 verstetigt haben.
Allein die Mittelhöhe ist in der bisherigen Planung noch ganz und gar nicht ausreichend, da muss mehr kommen.
Das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart, denn der sagt:
wir setzen den Nationalen Radverkehrsplan um.
Und der NRVP sagt: die finanzielle Förderung soll sich perspektivisch an 30 € pro Kopf und Jahr orientieren.
Wenn der Bund als stärkster Partner ein Drittel davon übernimmt, macht das rund 800 Mio.
Hier ist der Minister gefordert, die entsprechenden Mittel im Haushalt bereit zu stellen.
Und klar ist auch: Geld allein wird es nicht richten.
Denn das heutige Straßenverkehrsrecht bremst den Ausbau von Wegen fürs Rad und verhindert die Entstehung von attraktiven und sicheren Radwegenetzen.
Wir müssen – und auch hier ist der Koalitionsvertrag ganz klar – das Straßenverkehrsrecht reformieren.
Neue Ziele, nämlich Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung müssen so im StVG verankert werden, dass die Kommunen mehr Handlungsspielraum bekommen und die vielen Begründungshürden entfallen.
Das wird die Planung und Umsetzung von Radwegenetzen in den Kommunen stark beschleunigen.
Dann können sie gute Radwege ausweisen, den öffentlichen Raum neu gestalten und Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität in den Städten und Gemeinde erhöhen.
Beschlüsse für mehr Radinfrastruktur und sichere Verkehrswege gibt es schon jetzt in vielen Kommunen.
Aber sie können eben nicht umgesetzt werden, weil das Bundesgesetz so restriktiv ist.
Eine Reform, die die kommunalen Beschlüsse umsetzbar macht, stärkt daher auch das Vertrauen in die Demokratie.
Denn niemand versteht, warum der Ortsrat einen Radweg beschließt und der dann nicht kommt.
Das sagt übrigens nicht nur der Koalitionsvertrag.
Sondern das fordern auch die kommunalen Spitzenverbände und die Länder.
Der Verkehrsgerichtstag hat ebenfalls eine Empfehlung für die Reform des Straßenverkehrsgesetzes ausgesprochen.
Mit den Kollegen von SPD und FDP bin ich intensiv im Austausch und wir haben auch bereits erste Gespräche mit dem Ministerium geführt.
Das Ministerium ist jetzt gefordert, den Koalitionsvertrag umzusetzen und zügig einen Gesetzesentwurf vorzulegen.
Ja, wir müssen jetzt die Umsetzung des Fahrradlands Deutschland vorantreiben.
Und daran arbeiten wir auch.
Denn dass das Fahrrad heute in weiten Teilen ein Verkehrsmittel ohne eigne Infrastruktur ist, haben wir vor allem der autofokussierten Verkehrspolitik der Union zu verdanken.
Dass Sie jetzt das Wort für die Radverkehrsförderung ergreifen, freut mich einerseits.
Andererseits ermüdet es mich, wenn Sie für mehr Radverkehr vor allem Umweltstandards schleifen wollen.
Wenn Sie sich gleichzeitig im Berliner Wahlkampf allein als Partei der Autofahrer*innen geben.
Und wenn Sie in den kommunalen Parlamenten allzu oft Maßnahmen für mehr Radverkehr blockieren, weil ihnen Parkplätze letzten Endes doch wichtiger sind, als sichere Schulwege für unsere Kinder.
Im Übrigen könnten Sie bereits jetzt, überall dort, wo Sie Verantwortung tragen, mehr Fahrradparkhäuser und Radwege bauen – die Programme gibt es schon.
Werden Sie konkret, packen Sie es an und sparen Sie sich und uns die Zeit mit Show-Anträgen.
Wir machen uns derweil an die Arbeit."
Die Rede zum Nachhören gibt es auf meinem Profil über die Homepage des Deutschen Bundestages.