Im letzten Jahr hatte die Stadt Hannover ein bundesweit beachtetes Konzept für die Innenstadt vorgelegt. Darin: mehr Lebensqualität + Verkehrssicherheit, besserer 🚲- +🦶-verkehr, grünerer und schönerer öffentlicher Raum. Das Problem: die politische Mehrheit fehlt, denn die SPD hat nach der Veröffentlichung des Konzeptes durch Oberbürgermeister Belit Onay (Bündnis 90/Die Grünen) und Baudezernent Thomas Vielhaber (SPD) die Koalition mit den Grünen aufgekündigt. Jetzt haben SPD, CDU und FDP einen gemeinsamen Antrag für die „Entwicklung“ der Innenstadt vorgelegt, mit dem der Autoverkehr in der Innenstadt gestärkt wird. (Hier nachzulesen)
Um das Fazit vorwegzunehmen: Das Konzept von SPD, CDU und FDP ist ein Rollback in die Verkehrspolitik der 60er Jahre. Allein das Auto steht im Mittelpunkt, Fuß- und Radverkehr werden an den Rand gedrängt.
Die SPD unterstützt offenbar lieber die autofokussierte Politik von CDU und FDP als das Verkehrskonzept der Stadtverwaltung umzusetzen. Sie ignoriert damit das eigene Wahlprogramm und die Menschen, die in der City leben und schon jetzt unter Lärm, Abgasen und Stau leiden.
Das ist beschämend in einer Zeit, in der in Deutschland und Europa viele Städte angefangen haben, die Lebensqualität ihrer Innenstädte zu verbessern – durch mehr Aufenthaltsqualität und die Stärkung von Fuß- und Radverkehr. Dort zeigt sich längst: eine Innenstadt mit weniger Autoverkehr nützt nicht nur dem Klima, sondern auch den Menschen und den Geschäften.
Die Forderungen zum Verkehr in der Innenstadt im Einzelnen:
SPD, CDU und FPD wollen mehr 🚘🚘 in die Innenstadt holen durch mehr Parkflächen und freie Fahrt durch alle Bereiche. Konkret heißt das:
- oberirdische Parkflächen sollen erhalten bleiben oder sogar ausgebaut werden (37, 48, 49, 56).
- Am Leineufer soll ein neues unterirdisches Parkhaus entstehen (73) (in Hannovers Innenstadt gibt es bereits 11 Parkhäuser, die zu keinem Zeitpunkt voll ausgelastet sind).
- Ab 18 Uhr wird Parken kostenlos, um die Innenstadt abends zu „beleben“ (4).
- Der Durchgangsautoverkehr wird nicht eingeschränkt (35, 45, 46).
- Der 🚘-Verkehrsfluss auf dem City-Ring wird weiter optimiert (58).
Mehr Platz für Autos in den Innenstädten bedeutet automatisch weniger Platz für die Menschen und geringere Aufenthaltsqualität. Und die Anwohner*innen in der Innenstadt werden durch Lärm, Abgase und Parksuchverkehr belastet.
🦶 Große Worte gibt es für den Fußverkehr: er erhält als Basismobilität „höchste Priorität“ (50). Immerhin sollen mit der Georgstraße (39), einem kurzen Abschnitt der Karmarschstraße (46) und der Prinzenstraße (36) neue Fußgängerzonen entstehen. Aber: Gehwegparken bleibt erhalten (56) und neue Querungen auf dem City-Ring sollen den 🚘-Verkehrsfluss nicht beeinträchtigen (70). Das ist das Gegenteil von „Priorität“, stattdessen wird der Fußverkehr weiter den 🚘🚘 untergeordnet. Darüber können dann auch neue Sitz- und Rastmöglichkeiten (51) oder punktuelle Begrünungen (75) nicht hinwegtäuschen.
🚲 Der Radverkehr bleibt an den Rand gedrängt. Zwar soll es mehr Fahrradbügel sowie Leih- und Reparaturstationen geben, allerdings dürfen diese nicht auf Parkplätzen aufgestellt werden (53, 54). Der CityRadRing soll einheitliche Gestaltung und Beleuchtung bekommen (62). Vom Ausbau des Radwegenetzes und besserer Infrastruktur kein Wort, lediglich die „Sanierung des Radwegenetzes“ ist enthalten sowie der (sowieso geplante) Anschluss der Velorouten an den CityRadRing (63). Die Sicherheit soll lediglich über weitere Trixi-Spiegel an Kreuzungen gestärkt werden (52). Für den Lieferverkehr schlägt das Konzept die Weiterentwicklung der City-Logistik vor und verweist auf das einzige Mikro-Hub. Allerdings fehlt jeder Hinweis auf das zentrale Element: die emissionsfreie, sichere An- und Belieferung innerhalb der Fußgängerzonen – nämlich mit dem Rad anstatt großer Autos und LKW. Ziel sei stattdessen, den „Fluss von Lieferverkehren effizienter“ zu gestalten (13).
🚌 Für den ÖPNV sind diverse Vorschläge enthalten, allerdings: sie sind entweder extrem teuer oder schlicht nicht so sinnvoll. Sie wollen
- prüfen, ob die Stadtbahnlinie 10 auf der Kurt-Schumacher-Straße unterirdisch geführt werden kann (47). Nicht nur wurde diese Debatte über einen langen Zeitraum bereits geführt und von der SPD dann anders beschlossen. Sondern ein solcher Bau wäre absurd teuer, würde sehr lange dauern und extreme Folgekosten (Belüftung, Beleuchtung etc.) verursachen. Absurd in Zeiten knapper Kassen, von klimapolitischen Auswirkungen (Stichwort: graue Energie) ganz zu schweigen. Und: der gewonnene Platz soll dann vermutlich dem Autoverkehr nützen…
- ein Kombi-Ticket für P&R-Anlagen und ÖPNV-Nutzung soll den Umstieg erleichtern (60). Das ist grundsätzlich denkbar, es bleibt nur die Frage, wer es bezahlt…
- auf dem City-Ring soll es eine Ringbuslinie geben (66). Kann man machen, die Frage ist nur: gibt es dafür – angesichts des bereits bestehenden dichten Stadtbahnnetzes wirklich Bedarf? Die Erfahrung aus anderen Städten zeigt: eher nicht.
- das Kurzstreckenticket auf 5 Stationen ausdehnen und die ÖPNV-Nutzung innerhalb des City-Rings kostenfrei machen (67). Auch das muss irgendwie bezahlt werden. Und: viel wichtiger ist es, die Menschen für längere Strecken für den ÖPNV zu gewinnen. Ein kostenfreier ÖPNV in der City würde zudem ausgerechnet die bereits gut ausgelasteten Strecken (über)fordern.
- autonomen ÖPNV fördern (z.B. durch Zusammenarbeit mit MOIA) (71). Ob nun ausgerechnet die Innenstadt der erste Anwendungsraum für autonomes Fahren ist, ist fraglich.
- Tunnelstationen modernisieren (74). Mit dem Steintor ist gerade die erste Station modernisiert worden. Das ist sinnvoll und soll sowieso weitergeführt werden – nur die Finanzierung ist eine Herausforderung…
🌳 Unter „Klimaschutz“ sind natürlich keine Änderungen z.B. beim Mobilitätsverhalten enthalten, auch zur Wärmewende findet sich nichts. Es geht eigentlich ausschließlich um Klimawandelfolgenanpassung – also Symptombekämpfung: Begrünung (75, 76), eine bessere Wasserversorgung durch Trinkwasserbrunnen (77) und den Ausbau des Programms „Refill“ (78). Langfristig ist ein Regenwassermanagement à la Schwammstadt vorgesehen (79).
🙋♀️ Für die abermalige Beteiligung sind weder Klimaschutz- noch Umwelt- oder Verkehrswendeverbände benannt. Zudem soll das Konzept den Stadtbezirksräten lediglich „zur Kenntnis“ vorgelegt werden – auch dem Stadtbezirksrat Mitte, der ja nun eigentlich dafür zuständig ist. Ziemlich schräges Verständnis von demokratischer Beteiligung. Zur Erinnerung: die SPD hatte die Beteiligung fürs Innenstadtkonzept der Stadt lauthals kritisiert. Und das obwohl es da mit einem Innenstadtbeirat, Bürger*innenbefragungen, Experimentierräumen etc. eine extrem umfangreiche Beteiligung von Verbänden und Institutionen UND Bürger*innen gegeben hatte, für die die Stadt sogar ausgezeichnet worden ist!